Povo Apinajé CIMIÜber die Wahl in Brasilien und wie es soweit kommen konnte.

Ein Kommentar von Patrick Krãnipî Godar

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Traurige Tropen

Über einen brasilianischen Spaltpilz und andere Ungeheuerlichkeiten

von Patrick Krãnipî Godar

Brasilien ist ein wunderbares Land; die Brasilianerinnen und Brasilianer drücken es auf ihre charmante Art aus: „Deus é brasileiro“ (Gott ist Brasilianer). Brasilien ist ein Land mit einer wunderbaren, überreichen Natur und einem Klima, das mehrere Ernten ermöglicht. Nicht nur die traumhaften Sandstrände locken, sondern auch der unermesslich reiche und einzigartige Amazonaswald, der riesige trockene „Sertão“ (Savanne), artenreiche Sumpfgebiete wie der Pantanal, Lagunen wie die Lagoa dos Patos, Flussinseln wie die Ilha do Bananal im Rio Araguaia... Das brasilianische Volk ist bunt, lebensfroh und gastfreundlich. Die kulturellen Einflüsse der indigenen Völker, der Afrobrasilianer (Nachkommen der afrikanischen Sklaven) und vieler europäischer und asiatischer Einwanderer haben ein Volk geformt, dessen Vitalität und Kreativität ihres Gleichen sucht. Dabei stellen die indigenen Völker einen besonderen nationalen Schatz dar, denn sie sind reich an Kultur und Spiritualität, sie leben in Einklang mit der Natur. Brasilianerinnen und Brasilianer nehmen ihre Zukunft mit Schwung und mit einer Prise tropischer Gelassenheit in Angriff. Ein wahrhaft gesegnetes Land.

„Ordem e Progresso“ oder wie man ein Volk betrügt

Auf Brasiliens Nationalfahne steht: „Ordnung und Fortschritt“, hat aber auch eine turbulente Zeit hinter sich: eine dreißigjährige Militärdiktatur, Korruptionsskandale, zwei Amtsenthebungsverfahren, wirtschaftlicher Rückgang und hausgemachte Umweltkatastrophen wie 2015 der Dammbruch von Bento Rodrigues in Mariana, dessen zerstörerische Folgen die betroffenen Mensch und Natur noch lange belasten werden. Neben politischen und wirtschaftlichen Problemen muss man in den letzten 15 Jahren eine beunruhigende Entwicklung umweltschädlicher Großprojekte feststellen. Im Rahmen des 2007 von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva aus der Taufe gehobenen Infrastrukturprogrammes PAC (Programa de Aceleração do Crescimento) wurden große Staudämme, Straßen, Minenprojekte oder industrieller Landwirtschaftsanbau geplant und verwirklicht, um die Wirtschaft anzukurbeln und staatliche Einnahmen zu vermehren. Es galt eine breite Bevölkerungsschicht aus der Armut zu heben und Arbeitsplätze zu schaffen. Zum Teil ist dies wohl gelungen, nur, dass die Regierung wenig nachhaltige soziale Veränderungen bewirkt hat. Projekte wie Familienzulagen für die Ärmsten (bolsa família) im Rahmen des Fome Zero Programms kosteten viel, waren aber keine Lösung der Ursachen von Armut: die unsägliche und kriminelle Bereicherung einiger Wenigen.

Lava Jato: eine Enttarnung der Korrupten

DSC01991 CIMI webWirtschaftliche, politische Korruptionsskandale (Petrolão und Mensalão), Korruption bei Copa do Mundo 2014 und Olympischen Spielen 2016 sowie Misswirtschaft auf höchster Ebene fanden ihre Höhepunkte zuletzt in der grenzenlos korrupten Interimsregierung Temer. Die lang erwartete Aufklärung der unhaltbaren Zustände in Brasiliens Verfilzung zwischen Wirtschaft und Politik hat zweifellos seit 2014 mit der «Operação Lava Jato» beachtenswerte Resultate erzielt: die Verurteilung und Verhaftung politischer und wirtschaftlicher Größen aller Parteien sowie der drei allmächtigen Konzerne Odebrecht, Andrade Gutierrez oder Camargo Corrêa und das Amtsenthebungsverfahren der Präsidentin Rousseff 2016. Das prominenteste Opfer seiner eigenen auf den Weg gebrachten Gesetze zur Korruptionsbekämpfung ist der ehemalige Präsident Inácio Lula da Silva. In einem politischen Indizienprozess wurde Lula vorgeführt, gedemütigt, verurteilt und für 12 Jahre ins Gefängnis geschickt . Somit wurde er als (bis dahin erfolgsreichsten) Kandidat zur Wiederwahl ausgeschaltet. Der Nachfolger für die PT-Partei (Partido dos Trabalhadores), Fernando Haddad, hatte keine Chance aufgrund der sich selbst diskreditierten Arbeiterpartei, der unilateralen Hetzkampagne der Medien gegen Lula und knapp drei Wochen vor den Wahlen. Für die noch amtierenden Korruptionsverdächtigten wie Interimspräsident Michel Temer , war diese Posse sowie das Amtsenthebungsverfahren von Präsidentin Dilma als Ablenkung höchst willkommen. Zusammen mit seinem Gruselkabinett betreibt er weiter einen sozialen Abbau ungekannten Ausmaßes und schafft den wirtschaftlichen Interessen, insbesondere der Großgrundbesitzer und der Agroindustrie, die Möglichkeit, ungehindert trotz nationaler Umweltgesetze, Umweltzerstörung zu betreiben und Minderheiten ihrer Rechte zu berauben.

Rechtsextrem aus Verzweiflung?

Wenn es nicht so ernsthaft dramatisch und tiefgreifend gefährlich für viele Brasilianerinnen und Brasilianer wäre, könnte man sich das Ganze als lustige brasilianische Telenovela vorstellen. Aber die Wahl des rechtsextremen Jair Messias Bolsonaro von immerhin 55% der Wähler und Wählerinnen lässt keinerlei Belustigung zu. Demokratisch rechtsextrem zu wählen ist aber keine brasilianische Eigenheit, es ist auch zu einer erschreckenden Realität in einigen westlichen demokratischen Ländern geworden. Menschenrechte und Respekt scheinen „out“ zu sein, man besinnt sich auf „My country first“ und lässt seiner Wut freien Lauf.

In Brasilien kann ich die Wut über die zynische und arrogante Art von Politikern und Wirtschaftsbossen sehr gut nachvollziehen sowie die Angst wegen 64.000 Morden im letzten Jahr, die unakzeptable schamlose Bereicherung Einzelner an öffentlichen Geldern, der Bankrott des Sozialstaates, eine ungebremste Umweltzerstörung. Diese Missstände sind eine Erklärung für das, was bei der Präsidentenwahl 2018 passiert ist. Eine Erklärung wohlbemerkt, aber auf keinen Fall ein Akzeptieren. Es ist schlicht und einfach empörend was sich der Präsidentschaftskandidat Bolsonaro an menschenverachtenden Aussagen gegen Indios, Frauen, Afrobrasilianer, Menschen mit anderen sexuellen Identitäten leistet. Dass eine Mehrheit der brasilianischen Wähler und Wählerinnen dies in Kauf nimmt ist zutiefst schockierend und verstörend.

Bolsonaro, ein Saubermann?

Woher kommt dieser unbekannte Politiker, der sich als Messias hochstilisiert hat? Im Folgenden nur einige wenige Splitter eines insgesamt furchterregenden Porträts. Ursprünglich stammt Jair Messias Bolsonaro aus dem Hinterland von São Paulo. Er leistete Dienst als Fallschirmspringer der Armee. Er ist Vater von fünf Kindern: vier Söhne und eine Tochter. Sein Sohn Flávio ist Senator und Eduardo Nantes Abgeordneter, beide in derselben Partei PSL - Partido Social Liberal. Über Letztgenannten urteilte Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso, dass seine Äußerungen zu einer Schließung des Obersten Gerichtshofs nach Faschismus stinken .

 27 Jahre lang saß Bolsonaro als Abgeordneter im Parlament für verschiedene Parteien und erst zum Schluss für die Partei PSL (2018). Er hat kein einziges Gesetzesprojekt erfolgreich initiiert. Als selbsternannter Saubermann gegen Korruption hat er sich trotzdem ohne Probleme vom korrupten System über Steuergelder leidlich bezahlen lassen. 2016 erst wurde er von der Presse bemerkt, als er bei der Stimmabgabe über das Amtsenthebungsverfahren der Präsidentin Dilma ein Statement abgab, der einen Folterer der Militärdiktatur, Oberst Brilhante Ustra verherrlichte .

DSC02166 CIMI webEin Präsident als Totengräber des Respekts und der Vernunft

Die zur Schau gestellte Wut Bolsonaros über die unhaltbaren politischen Zustände hat sich in ein Absurdum gewandelt: die Demokratie stellt er als unfähig dar, die Probleme zu lösen (auch wenn er dauernd von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit redet). Für ihn ist Demokratie eine „Schweinerei“. Er will Brasilien 50 Jahre zurück in die „heile“ Welt der Militärdiktatur katapultieren . Wer nicht seiner Meinung ist, erlebt „eine Säuberung, wie sie Brasilien noch nie erlebt hat". Er werde die „roten Verbrecher" aus dem Vaterland verbannen. „Entweder gehen sie, oder sie werden im Gefängnis verrotten". Als Spaltpilz der schlimmsten Sorte hat er das brasilianische Volk weiter in zwei sich feindliche Lager geteilt.
Bolsonaro kündigt schamlos die Missachtung des Grundgesetzes, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte an, wenn er verspricht, „den Indios keinen Zentimeter Land mehr zu überlassen“ . Das ist gegen die Artikel 231 und 232 des brasilianischen Grundgesetzes von 1988 und missachtet die Indioschutzkonvention ILO 169. In totaler Unkenntnis indigener Realität posaunt er, sie (die Indigenen) werden sich eben ans „bessere Leben gewöhnen müssen“. Gert-Peter Bruch, Gründer der Nichtregierungs-Organisation Planète Amazone, schreibt von einem « angekündigten Genozid an den Indigenen und an zukünftigen Generationen. »

Armes Brasilien!

Die Liste der Ungeheuerlichkeiten ist sehr lang. Es ist einfach unfassbar, dass ein Präsidentschaftskandidat und (ab 1. Januar 2019) Präsident der fünfgrößten Wirtschaftsnation solches ungestraft sagen kann und tun wird. Aber andere haben es ja schon erfolgreich vorexerziert. Die neu demokratisch legitimierten rechtsextremen Töne lassen keinen Spielraum für falsche Hoffnungen: Man kann nichts anderes erwarten als die Weiterführung und Verschlimmerung der rücksichtslosen Zerstörung der Umwelt, der Vetternwirtschaft und Korruption, die Vorbereitung eines Völkermordes an den Indios und die Missachtung der Menschenrechte von Minoritäten, der Verlust des Respektes schlechthin. Der Wolf hat wohl nach dem Wahlsieg Kreide geschluckt, doch das Ende dieses Märchens kennen wir.

 

1) http://www.spiegel.de/politik/ausland/brasilien-urteil-gegen-lula-da-silva-ein-fatales-signal-kommentar-a-1201448.html

2) https://epocanegocios.globo.com/Brasil/noticia/2018/08/barroso-autoriza-pf-cruzar-dados-de-inqueritos-contra-temer.html
3) https://www.tagesschau.de/ausland/bolsonaro-rechtsextrem-101.html
4) https://veja.abril.com.br/brasil/cheira-a-fascismo-diz-fhc-sobre-fala-de-filho-de-bolsonaro-contra-stf/

5) https://www.youtube.com/watch?v=j6w86KonOjI
6) https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/umstrittener-praesidentschaftskandidat-jair-bolsonaro-brasiliens-revolverheld/23132446.html
7) FAZ 26.10.2018
8) ebda. FAZ 26.10.2018
9) https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/brasilien-nach-der-wahl-jair-bolsonaro-will-brasilien-radikal-anders/23634590.html https://deolhonosruralistas.com.br/2018/02/08/nem-um-centimetro-mais-para-terras-indigenas-diz-bolsonaro/
10) https://www.npla.de/poonal/indios-werden-sich-ans-bessere-leben-gewoehnen-muessen/
11) https://www.npla.de/poonal/indios-werden-sich-ans-bessere-leben-gewoehnen-muessen/

 


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